Beamen geht nicht nur auf der Enterprise

Zeichnung von Lord Det zum Märchen Beamen geht nicht nur auf der Enterprise

Kapitel 1 – Camping-Urlaub

Camping-Urlaub ist wunderschön, und das hier ist eine herrliche Gegend! Wenn ich früh aus dem Zelt trete, sehe ich einen breiten Fluss mit einigen Schiffen. Auf der anderen Seite ist ein großer Berg, unten führt eine Straße entlang. Als ich heute aufwache, denke ich noch kurz an meinen Traum. In diesem Traum ging es um das Beamen und ich lache leise. Heute nutze ich den Tag, um den Berg zu erklimmen. Am Abend bin ich hungrig, aber auch etwas müde. Im Biergarten gegenüber von dem Zeltplatz sind alle Tische besetzt.

An einem Tisch sitzt eine Frau alleine; ich trete auf den Tisch zu. „Ist hier noch ein Platz frei?“ frage ich freundlich. Die Frau nickt und ich setze mich zu ihr. Wir kommen schnell ins Gespräch. Ich erzähle ihr, dass ich alleine reise und dass meine Tour durch das ganze Land geht. Ich bestelle mein Lieblingsessen – Schnitzel mit Pommes – und ein Bier. Sie erzählt mir einiges von sich, auch sie reist alleine. Nach dem Essen reden wir noch sehr lange, unsere Interessen ergänzen sich scheinbar prima. Nach ein paar Stunden bringt der Kellner die Rechnung, da der Biergarten jetzt schließt. Ich bin erstaunt, wie spät es schon ist. Sie lädt mich auf ihr Zimmer im Landgasthof ein, sie hat dort noch eine Flasche Wein und möchte diese mit mir trinken. Da kann ich natürlich nicht nein sagen.

Auf ihrem Zimmer öffne ich die Flasche Wein. Während ich dann kurz im Bad bin, schenkt sie den Wein in ein paar Pappbecher ein. Wir stoßen mit diesen an und ich mache „Kling“, als ob man etwas hört – wir lachen beide. Der Wein schmeckt gut, hat aber einen merkwürdigen Nachgeschmack. Sie erzählt mir etwas, aber ich kann dem Gespräch nicht mehr folgen, ich werde auf einmal total müde und dann klappe ich auch schon zusammen.

Als ich erwache liege, ich gefesselt auf einem seltsamen Tisch. Es stehen drei Männer im Raum. Als sie merken, dass ich wach bin, kommen sie zu mir an den Tisch. 

„Hallo, na endlich wach!“ sagt einer der Männer. Er trägt einen weißen Kittel.

Ich brülle: „Was wollt ihr von mir? Macht mich sofort los!“

Die Männer lachen nur, und der Kittelmann sagt: „Wir brauchen einen Freiwilligen, und der bist du. Ein allein Reisender, den niemand vermisst.“

„Seit ihr Organräuber, was wollt ihr?“

„Ach nein, wir sind Forscher und haben einen Apparat zum Beamen gebaut.“

„Zum Was?“ frage ich erstaunt.

„Zum Beamen, so wie bei Raumschiff Enterprise.“

„Ihr wollt mich wohl veralbern, ist das hier die Sendung mit der versteckten Kamera?“

Der Kittelmann verneint: „Nein, wir können wirklich beamen.“

„Ich bin doch nicht euer Versuchskaninchen!“

„Nein, natürlich nicht. Das Stadium, Kaninchen und Schimpansen zu beamen, ist abgeschlossen. Jetzt kommen Menschen dran – und zwar nur Freiwillige, so wie du.“ Alle drei lachen laut los.

„Wohin wollt ihr mich denn beamen?“

„Erstmal in den Nachbarraum.“

„Und wenn ich nicht will?“

„Dann steh auf und geh zurück zum Zeltplatz.“ 

„Aber ich bin doch gefesselt.“

„Ja, dann hast du wohl Pech gehabt und bist somit unser erster Freiwilliger zum Beamen.“ Wieder lachen alle drei.

Der Kittelmann hat inzwischen eine Spritze geholt und gibt mir eine Injektion in den Arm. Jetzt bin ich wie gelähmt, kann mich nicht mehr bewegen und auch nicht sprechen, bekomme aber alles mit.

Eine große Haube aus einem merkwürdigen Material wird über mich gestülpt. Dann dreht sich alles bei mir im Kopf. Ich spüre, wie sich mein Körper auflöst, wegschwebt und sich wieder zusammensetzt. Das Zusammensetzen fühlt sich an, als ob mich Tausende von Nadeln zusammennähen. Als ich einigermaßen wieder klar denken kann, stelle ich fest, dass ich wirklich in einem anderen Raum bin. Ich bin immer noch gefesselt und kann mich auch noch nicht wieder bewegen.

Die drei Männer kommen in den Raum, freuen sich und klatschen ab. „Na super, das Beamen hat geklappt“ denke ich, „wie komme ich nur weg von diesen Verrückten?“ Jetzt beginnt eine intensive Untersuchung meines Körpers, ob noch alles da ist und an den richtigen Stellen. Der Kittelmann sieht sehr zufrieden aus. Ich werde zurück in den anderen Raum gebracht und an einem Tropf gehängt. „Das ist Flüssignahrung,“ meint der Kittelmann, als er meinen Blick bemerkt. Aber da ist noch etwas anderes mit drin; nach kurzer Zeit schlafe ich wieder ein.

Am nächsten Tag erzählt mir der Kittelmann stolz, dass heute die Phase Zwei beginnt und ich an einen anderen Ort gebeamt werde. Wieder bekomme ich die Spritze, die mich lähmt; diesmal werden die Fesseln entfernt. Die Männer stülpen wieder die große Haube über mich und dann ist alles so wie beim erstmal, nur die Zeit, in der mein aufgelöster Körper schwebt, ist wesentlich länger. 

Als mein Körper wieder zusammengesetzt ist, befinde ich mich auf einer großen Wiese. Da ich aber noch immer gelähmt bin, kann ich nicht aufstehen und weglaufen. Da kommt die Frau aus dem Biergarten, lacht mich an und begrüßt mich. Sie gibt zwei Männern, die sie begleiten, den Befehl, mich zum Helikopter zu tragen. Dort bekomme ich wieder eine Spritze und schlafe sofort ein.

Als ich erwache, liege ich wieder gefesselt auf dem seltsamen Tisch. Die drei Männer sehen richtig zufrieden aus und lächeln mich stolz an, als ob sie jetzt ein Lob von mir hören wollen.

Kapitel 2 – Beamen ins Mittelalter

Der Kittelmann tritt an den Tisch und sagt: „Jetzt beginnt Phase Drei, der absolute Höhepunkt, wir werden dich in die Vergangenheit beamen!“

„Was? Wie wollt ihr mich denn da wieder zurückholen?“ frage ich entsetzt.

„Na, gar nicht – dass ist ja das Geniale! Egal, ob es klappt oder nicht – du kannst niemandem von uns berichten. Du bist einfach weg!“

„Ich könnte warten, bis der Tag ran ist, an dem ich hier gezeltet habe, und mich selbst warnen.“

„Wir werden dich gleich 400 Jahre zurückschicken, dann klappt das mit dem Warnen auch nicht“, sagt lachend der Kittelmann und gibt mir wieder die Spritze, die alles lähmt. Dann werden mir die Fesseln gelöst und man legt mir meinen weißen Panamahut auf den Bauch mit dem Kommentar: „Wir wollen nichts behalten, was uns nicht gehört!“ Alle lachen wieder. Nun wird die Haube zum dritten Mal über mich gestülpt. 

Wieder spüre ich, wie ich mich auflöse, und nach einer sehr langen Zeit wieder zusammensetze

Mittelalter

Ich wache auf einer Wiese auf, das Gras ist sehr hoch und es sind keine Männer da, die mich abholen. Langsam kann ich mich wieder bewegen und nach einer gefühlten Ewigkeit stehe ich auf. Ich sehe mich um. Die Wiese geht auf der einen Seite in einen Wald über, links von mir ist ein Fluss, sonst sehe ich nur Wiese und Felder. Ich will wissen, wo ich bin und ob es sich wirklich um eine Zeitreise gehandelt hat. Ich gehe zum Fluss, wo ich meinen Durst stille und mir durch den Kopf geht, dass fast alle Siedlungen an Flüssen gebaut wurden, also laufe ich weiter den Fluss abwärts – oder zu Tal, wie ein Flussschiffer sagen würde. Wenn ich nicht bald auf Menschen treffe, würde ich bestimmt verhungern.

Da sehe ich meine Rettung. Ein wilder Apfelbaum mit großen roten Äpfeln. Mein großer Hunger siegt über die Angst vor meiner Kern- und Steinobstallergie, und wunderbarerweise geschieht nichts – als ob ich nie eine Allergie hatte. Ich esse mich an den Äpfeln richtig satt und stecke mir noch einige ein.

Nach einem halben Tagesmarsch sehe ich in der Ferne eine Burg und lege diese als mein neues Ziel fest. Gegen Abend erreiche ich eine Siedlung, die sich kurz vor der Burg befindet. Ich nähere mich langsam und beobachtet die Bewohner: Alle sind so gekleidet wie bei einem Mittelalterspektakel, nur schmutziger und zerlumpter. Es hatte also geklappt: Ich bin tatsächlich im Mittelalter gelandet! Als ich mich den Bewohnern nähere, wird es ganz still und alle schauen mich an, als ob ich von einem anderen Stern komme. Keiner spricht mich an und ich laufe zwischen ihnen hindurch und nähere mich einer Herberge, welche ich entdeckt habe. Als ich die Herberge betrete, gehen die Gespräche hinter mir wieder los.

Die Herberge

Der Wirt hatte wohl schon einige Fremde in seiner Herberge gesehen. Trotzdem mustert er mich ausgiebig und fragt dann nach meinem Begehr. Ich sage ihm, dass ich essen und trinken möchte sowie ein Nachtlager brauche. Er fragt, ob ich bezahlen kann. Ich zücke meine Brieftasche und zeige ihm den Inhalt. Er betrachte die Scheine und die Münzen mit Argwohn. Er entscheidet sich für die Kupfermünzen – so bekomme ich Essen, Trinken und Nachtlager für 6 Cent. Das ist sehr preiswert, aber mein Kleingeld wird wohl nur für eine Woche reichen. Egal, jetzt wird Abendbrot gegessen und dann geschlafen. 

Am nächsten Morgen werde ich sehr unsanft geweckt. Burgwachen stehen an meinem Lager und zerren mich hoch. Sie drücken mir meine Sachen in die Hand, setzen mir meinen Panamahut auf und bringen mich zur Burg. Kurze Zeit später werde ich dem Burgherrn vorgeführt. Er befragt mich. Wer bin ich, woher ich komme und wohin ich will? Ich erzähle ihm die Wahrheit, so wie man es mir schon als Kind beigebracht hatte: Ehrlich währt am längsten. Das ist ein großer Fehler. Es zeigt sich, dass niemand die Wahrheit hören – geschweige denn glauben – will. 

Ich lande darum gleich im Verließ. Nun sitze ich hier, umgeben von kleinen Halunken und großen Halsabschneidern. Ich komme mir vor wie bei einer Kabinettssitzung der Regierung. Am nächsten Tag werde ich einem Gericht vorgeführt und man beschuldigt mich der Ketzerei. Denn ich hatte gestern beim Verhör durch den Burgherrn auch erwähnt, dass die Erde keine Scheibe sei, sondern ein Würfel, der sich um die Sonne dreht. Auch weitere Fakten, welche die Würfeltheorie erklärten, waren in meiner Lage nicht unbedingt hilfreich. Der anwesende Henker führt mir sodann seine Foltergeräte vor mit dem Hinweis, dass nach deren Anwendung bisher jeder geständig war.

Das Gericht gab mir eine Nacht Zeit, mir alles noch einmal zu überdenken. Die ganze Nacht überlege ich, wie ich aus dieser Situation herauskommen könnte, gegen Morgen schlafe ich endlich ein. Gegen Mittag bringt man mich wieder zum Gericht. Diesmal sitzt außerdem ein Mönch im Raum und der Henker hat schon alle Foltergeräte ausgebreitet. Der Henker grinst mich an und ich sehe die Vorfreude auf seinem Gesicht. Nun erzähle ich noch einmal die Wahrheit und erkläre das mit dem Beamen und der Reise durch die Zeit genauer. Da nimmt der Henker eine Daumenschraube und legt meinen Daumen hinein. 

Jetzt meldet sich der Mönch zu Wort. Der Mönch ist ein Experte, was Zeitreisen angeht, sagt er. Er hätte schon einmal mit einem Mann, der angeblich aus der Zukunft kam, gesprochen. Dieser habe ihm erklärt, dass Beamen das normale Transportmittel in der Zukunft ist, dass aber ein Zeitsprung nicht erlaubt sei, da man die Person nicht zurückholen könne. In den Geschichtsbüchern stand aber, dass es vor über hundert Jahren mal einen Versuch gab mit einem Mann mit weißem Hut – aber das war wahrscheinlich nur ein Märchen, um Kindern Angst zu machen, dass man sie, wenn sie nicht lieb sind, in die Vergangenheit beamt und sie nie wieder zurückkommen. Und er erklärte, dass Zeitreisen auf einer völlig anderen Technologie basieren. 

Ich sage dem Mönch und dem Gericht, dass ich dieser Mann bin, der mit dem weißen Hut. Der Mönch lacht und sagt: „Der Hut ist doch nicht weiß, eher beige, hellgrau oder dunkelweiß.“ Als der gehen will, frage ich ihn: „Was ist denn mit dem Mann aus der Zukunft passiert?“ 

Der Mönch dreht sich noch einmal um und sagt: „Wir haben diesen Spinner als Ketzer verbrannt.“ Dann geht er lachend aus dem Raum. 

Jetzt fange ich auch an, zu lachen und höre gar nicht mehr auf, ich schneide Grimassen und äffe den Richter nach. Dieser verlangt Ruhe, aber ich mache immer weiter. Ich benehme mich wie ein Irrer und das mit voller Absicht. Ich hatte in einem Museum über das Mittelalter gelesen, dass geistig Verwirrte nicht gefoltert werden dürfen. Was da stand, stimmte auch – zu meinem Glück! Ich wurde nicht gefoltert, sondern einfach zum Tode durch Köpfen verurteilt. 

Am Sonntag ist allgemeiner Hinrichtungstag, alle Bewohner der Burg und der Umgebung versammeln sich auf dem Burgvorplatz, und unter großen Jubel wird ein Verurteilter nach dem anderen hingerichtet. Ich bin als Vorletzter an der Reihe, mein Urteil wird verlesen und dann zerrt man mich zum Richtblock. Es gibt weder einen letzten Wunsch noch eine Augenbinde. Sobald mein Kopf auf dem Richtblock liegt saust das Henkerbeil herab und zappzerapp, der Kopf ist ab.

Kapitel 3 – Alternatives Ende

Aua, tat das weh, mein Kopf fällt in einen Korb und mein Blick richtet sich nach oben. Schnell schließe ich die Augen, ich möchte verhindern, dass das Blut, das aus meinem Körper sprudelt, mir in die Augen fließt. Mein Körper und mein Kopf werden in eine Grube außerhalb der Burg geworfen, in welcher schon die anderen Hingerichteten liegen. Ich öffne meine Augen und sehe nicht unweit von mir meinen Körper. Mit der Kraft meiner Gedanken versuche ich den Körper zu bewegen und wie ein Wunder klappt das. Langsam robbt der Körper auf mich zu. Ich halte einen Moment inne, als die Burgwachen den letzten Verurteilten in die Grube werfen. Dann mache ich weiter, der Körper ist nun so nahe, dass die Hände meinen Kopf packen können und ihn wieder auf den Hals setzen. Nun wächst zusammen, was zusammengehört, denke ich bei mir.

Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich durch das Beamen unsterblich geworden bin – glaube ich jedenfalls. Die Gedanken überschlagen sich. Wenn ich jetzt 400 Jahre warte, könnte ich mich warnen, eine super Idee, oder?

Um zu verhindern, dass ich wieder auffalle, ziehe ich mir Kleidung von anderen Hingerichteten an. Diese ist dreckig, verlaust und stinkt, aber alles ist besser, als morgen wieder hingerichtet zu werden.

Ich verlasse die Gegend so schnell es mir möglich ist und wandere Richtung Westen, dabei orientiere ich mich an der Sonne. Wenn ich mich in 400 Jahren warnen will, muss ich diese Gegend unbedingt verlassen, wegen des Schmetterlingseffekts. Wenn ich hier irgendetwas ändere (im geschichtlichen Ablauf) kann es sein, dass ich nie geboren werde. Darum beschließe ich, den Kontinent zu verlassen, und woanders mein Glück zu versuchen. 

Nach einigen Wochen erreiche ich die Küste und finde auch ein Schiff, das zu einem andren Kontinent segelt. Ich heuere als Matrose an und nach mehreren Wochen der Überfahrt sind wir da. 

400 Jahre voller Abenteuer

Die nächsten 400 Jahre verbringe ich hier, erlebe jede Menge Abenteuer und sehne den Tag herbei, an dem ich zurückkehre und mich warne. Ich muss meine Identität alle zehn bis zwanzig Jahre wechseln. Ich bin darin bald ein Profi, obwohl es mir immer weh tut, wenn ich meine Familie und meine Freunde wegen eines Identitätswechsels verlassen muss. Aber es darf ja niemand erfahren, dass ich unsterblich bin…

Nun endlich ist der Tag gekommen, an dem ich zurückkehre! In genau einer Woche wird der Tag meiner Entführung sein. Ich fliege zurück in meine Heimat, es kommt mir alles seltsam bekannt vor, obwohl es hier und da doch kleine Veränderungen gibt. Allerdings kann nach 400 Jahren auch meine Erinnerung etwas gelitten haben. Ich nehme mir einen Mietwagen und fahre zum Campingplatz. Ich suche mir ein kleines Hotel in der Nähe. In den nächsten Tagen erkunde ich die Gegend und ein Tag vor der Entführung beobachte ich aus sicherer Entfernung, wie mein altes Ich auf dem Campingplatz ankommt. 

Wieder im Biergarten

Am nächsten Abend gehe ich zum Biergarten und beobachte mein altes Ich, es sitzt genau da, wo ich saß, und gegenüber sitzt die gleiche Frau. Meine Gedanken überschlagen sich: Wenn ich jetzt hingehe und ihm alles sage, verschwinde ich dann? Zerfalle ich zu Staub? Was wird aus meiner jetzigen Familie, aus meinen Kindern, Enkelkindern, Urenkeln usw.? Sind die letzten 400 Jahre alle weg? Sterben alle meine Kinder? Oh Gott… Ich hatte schon oft darüber nachgedacht, doch jetzt ist der Zeitpunkt, wo es real werden sollte. Es beginnt ein innerer Kampf. Alles, was ich nach dem Beamen in den letzten 400 Jahren erlebt und geschafft habe, wäre von einem Moment zum anderen weg. Nein ich kann es nicht tun, ich darf mich nicht warnen!

So beobachte ich mein altes Ich, wie es mit der Frau mitgeht – und alles nimmt seinen Lauf, wie damals. Es gibt allerdings einen kleinen Unterschied: Diesmal kann ich beobachten, wie man mein altes Ich bewusstlos aus der Herberge trägt und in einen Lieferwagen legt. Mein Mietwagen steht bereit und ich verfolge den Lieferwagen. Nach etwa einer Stunde Verfolgung habe ich einen Entschluss gefasst. Ich kehre um und stelle den Mietwagen vor meinem Hotel ab. Ich hole noch ein paar persönliche Dinge aus meinem Zimmer und gehe zum Campingplatz. Diese Nacht schlafe ich wieder in meinem „alten“ Zelt. In dieser Nacht träume ich noch ein letztes mal vom Beamen. Am nächsten Morgen packe ich nach einem kleinen Frühstück das Zelt zusammen und verlasse mit meinem „alten“ Auto den Campingplatz. Nun setze ich meinen Camping-Urlaub nach 400 Jahren wie geplant fort.

Da ich ja nun unsterblich bin, macht der Satz „Und wenn ich nicht gestorben bin, mache ich noch immer Camping-Urlaub“ allerdings keinen Sinn…

Ein Mann am Ende seines mittleren Alters

Engel

Ein Mann am Ende seines mittleren Alters in abgetragener Kleidung tritt auf den Hof einer Mosterei. In der Hand trägt er einen leeren Krug. Er fragt den ersten Mitarbeiter, den er sieht, ob er etwas Saft bekommen könne. Der Mitarbeiter betrachtet ihn merkwürdig, sagt dann aber sehr freundlich: „Liebend gerne würde ich Ihnen Saft geben, aber wenn der Chef das sieht, könnte ich meinen Job verlieren. Dort drüben im Büro sitzt er. Fragen Sie ihn, und wenn er einverstanden ist, fülle ich Ihnen den Krug auf.“ Der Mann am Ende seines mittleren Alters geht zum Büro, klopft an und als „Herein!“ gerufen wird, geht er ins Büro hinein. 

Der Blick des Chefs ist sehr mürrisch und er fragt mit bösem Tonfall: „Was wollen Sie?“ Der Mann trägt sein Anliegen vor. Der Chef lacht nur und fragt „Können Sie bezahlen?“ Der Mann verneint. 

„Dann verschwinden Sie, und zwar schnell! Hier gibt es nichts für Landstreicher, sonst rufe ich die Polizei“, sagt der Chef. Doch der Mann rührt sich nicht und fragt: „Weshalb? Hier gibt es doch genügend Saft!“ So geht das Gespräch noch eine Weile weiter, dann greift der Chef zum Telefon und ruft tatsächlich die Polizei. Der Mann ist entsetzt von dieser Wendung. Doch er möchte nicht aufgeben und appelliert an das gute Herz des Chefs, aber da gibt es wohl nur einen Stein an dieser Stelle.

Nach kurzer Zeit trifft die Polizei ein. Wie es aussieht, kennen sich die Polizisten und der Chef gut. Zwei der Polizisten führen den Mann zum Polizeiwagen, legen ihm Handschellen an und stoßen ihn hinein. Der dritte Polizist unterhält sich noch kurz mit dem Chef, der ihm klarmacht, dass er keine Anzeige erstatte, aber dass er möchte, dass diesem Landstreicher klar gemacht werde, dass er hier nie wiederauftauchen solle. Der Polizist nickt. Er weiß was zu tun ist. 

Er gibt seinen Kollegen ein entsprechendes Zeichen und die drei fahren mit dem Mann los. Nach ein paar Kilometern fragt der Mann, wohin es gehe – das sei doch nicht die Richtung zur Stadt und zur Polizeistation. Der Polizist neben ihm lacht und meint: „Wir bringen dich weg von hier, denn Landstreicher wollen wir in unserer Stadt nicht haben!“

Als sie dann auf einen Waldweg einbiegen, wird es dem Mann doch etwas mulmig. Auf einer Lichtung wenden sie den Wagen und halten an. Der Mann am Ende seines mittleren Alters wird aus dem Wagen gezerrt und dann schlagen alle drei auf ihn ein. Als er am Boden liegt, gibt es noch ein paar Tritte und die klare Ansage, sie möchten ihn in dieser Gegend nie wieder sehen. Sie nehmen ihm die Handschellen ab, steigen ins Auto und wollen zurückfahren. 

Nach ein paar Metern fliegt ein Stein gegen die Heckscheibe. Die Polizisten sind außer sich vor Wut. Sie greifen ihre Schlagstöcke und springen aus dem Wagen. Der Mann steht mitten auf der Lichtung und grinst aus seinem blutverschmierten Gesicht. Die drei stürmen auf ihn zu und holen mit den Schlagstöcken aus.

Der erste Polizist schlägt zu und verfehlt. Der Mann rennt blitzschnell zwischen den Polizisten hindurch auf das Auto zu, springt auf den Kofferraum und mehrmals auf und nieder. Die Polizisten laufen rot an vor Wut und stürmen wieder los. Der Mann springt mit einem Salto über die Polizisten und landet hinter ihnen auf den Füßen. Er dreht sich und greift sich den ersten Polizisten von hinten und schlägt mit seiner Faust auf den unteren Teil von dessen Wirbelsäule, so dass es nur kracht. Der Polizist hört eine leise Stimme in seinem Kopf, die ihm sagt: „Du wirst nie wieder laufen können.“

Die anderen beiden Polizisten drehen sich jetzt um und sehen den ersten auf den Boden fallen. Eine schnelle Bewegung des Mannes und ein Tritt in den Unterleib strecken den zweiten Polizisten nieder. Vor seiner Ohnmacht hört er noch eine Stimme, die ihm sagt: „So, nun wirst du nie Vater werden, es sei denn, du adoptierst ein Kind.“

Der dritte Polizist will jetzt seine Waffe ziehen, doch er ist viel zu langsam. Da ist der Mann schon bei ihm und greift nach den Armen des Polizisten. Ein paar Drehungen und Schläge –  beide Arme sind ausgekugelt und an mehreren Stellen gebrochen. Der Polizist bricht zusammen und jammert vor Schmerz.

Der Mann sagte: „Du wirst nie wieder jemanden schlagen. Ich sehe es in deinem Gesicht. Du verstehst nicht, was hier gerade passiert ist. Ich bin kein Mensch, ich bin ein Engel. Ich wurde mit einer Aufgabe hierher geschickt. Wie ich diese erfülle, ist meine Sache. Euch Menschen sollte klar werden, dass wir Engel weder gut noch böse sind. Wir geben nur das zurück, was man uns entgegenbringt – allerdings um ein Vielfaches verstärkt. Bei uns heißt es nicht: Zahn um Zahn, sondern: Zahn um Gebiss. Schenkst du uns Güte, bekommst du mehr zurück. Genauso verhält es sich mit Liebe und Hieben.“ 

Jetzt lacht der Mann am Ende seines mittleren Altersganz laut und geht zum Polizeiwagen. Über Funk ruft er einen Krankenwagen. „Du schaust immer noch erstaunt. Leider muss ich den Krankenwagen informieren. Wir dürfen keinen Menschen töten, und die anderen beiden brauchen dringend Hilfe.“ Nach diesen Worten löst sich der Engel in Luft auf, zum Entsetzen des Polizisten…

Einige Stunden später sitzt der Chef der Mosterei bei seiner Frau am Krankenbett und erzählt ihr von seinem Tag, so wie er es jeden Tag macht. Er erzählt auch von dem Landstreicher, den er seinen Kumpels von der Polizei übergeben hat. Seine Frau ist außer sich und schimpft ihren Mann aus. „Wie konntest du das machen, er wollte doch nur etwas Saft, und von dem haben wir ja nun wirklich reichlich. Ich hoffe, dass deine feinen Freunde ihm nichts getan haben.“ Der Chef blickt verlegen zu Boden und denkt: „Hätte ich doch nichts gesagt.“ Er wisse doch, wie seine Frau reagiert, sie hat ein viel zu gutes Herz.

Da kommt eine Stimme aus der Ecke des Zimmers: „Es war schon richtig, es zu erzählen.“ Ein Mann am Ende seines mittleren Alters mit immer noch blutverschmiertem Gesicht tritt auf das Krankenbett zu.

Der Chef springt auf und schreit: „Wie kommen Sie hier herein? Ich rufe gleich die Polizei.“ Der Mann grinst: „Ihre drei Freunde sind bereits hier – allerdings als Patienten. Sie werden gerade operiert.“

„Was? Wie?“ fragt der Chef völlig verunsichert. „Wie ist da möglich?“

„Die drei haben mich auf Ihren Wunsch hin zusammengeschlagen, und wie es bei uns Engeln üblich ist, geben wir alles um ein Vielfaches wieder zurück. Womit wir beim eigentlichen Thema wären. Ich bin ein Engel und meine Aufgabe hier ist es, diese gütige Frau zu heilen, für einen Krug Saft hätte ich es getan. Nun, deine Entscheidung war eine andere, deshalb musst du jetzt mit den Konsequenzen leben. Wir Engel erfüllen immer unseren Auftrag, und deshalb werde ich auch deine Frau heilen, indem ich ihre unheilbare Krankheit auf dich übertrage.“ 

Mit einem Blick auf die Frau meint der Mann: „Dein Mann hat immer gesagt, er würde dir gerne dein Leid abnehmen, damit du dich nicht so quälen musst. Nun wird sein Wunsch in Erfüllung gehen.“ Dann klatscht der Engel dreimal in die Hände und murmelt etwas dazu. 

Einen Moment später bricht der Chef unter Schmerzen zusammen und die Frau kann ihr Bett völlig gesund verlassen. Die Frau stürzt als erstes zu ihrem Mann und nimmt ihn ich die Arme. „Mein armer Schatz“, und mit einem bösen Blick zum Engel „Was hast du nur getan?“

Der Engel sagt nur: „Ich habe getan, was ich für richtig halte. Aber du sollst noch etwas Wichtiges wissen. Wenn du ihm Gutes tust, werden seine Schmerzen größer, bist du aber böse zu ihm, nehmen die Schmerzen ab. Die Krankheit kommt jetzt zum Stillstand, aber sein Zustand wird sich nie mehr verbessern, und auch der Tod wird ihn nicht sobald erlösen. Du, liebe Frau, sei gut zu den Menschen, die es verdient haben. Dein Mann gehört nicht dazu.“

Die Frau will etwas erwidern, aber in dem Moment löst sich die Gestalt des Engels in Luft auf. 

Und wenn sie nicht gestorben ist, lebt die Frau glücklich bis ans Ende ihrer Tage…

Wie ich das Opfer einer Hexe wurde

Apfelbaum

Kapitel 1 – Die Apfelernte

Ich bin Student und brauche Geld. Da es Erntezeit ist, melde ich mich bei einer Apfelplantage als Erntehelfer. Schon am nächsten Tag geht es los. Mein Wecker klingelt früh um 5 Uhr und ich bereue meinen Entschluss schon. Nach einem kleinen Frühstück geht es zur Apfelplantage. Am Treffpunkt erwartet uns die Apfelplantagenaufsicht: eine Frau um die 50 mit Gummistiefeln, Trainingsanzug, Schürze und Kopftuch. Mit ihrer großen Warze auf der Nase kommt sie mir wie eine „Hexe“ vor und ich grinse in mich hinein. 

Die meisten, die hier mithelfen, sprechen nicht meine Sprache, aber da ja alle Kinder in der Schule die Weltsprache Esperanto lernen, ist eine Verständigung problemlos möglich. Nur sind wir ja nicht zum Reden hier… Wir werden auf die einzelnen Reihen mit Apfelbäumen aufgeteilt und es geht los.

Mittagspause

Zur Mittagspause ertönt ein Signal und ich suche mir einen Fleck unter einem Apfelbaum, an dem ich ungestört meine mitgebrachten Brote esse. 

Das mit dem ungestört essen klappt aber nicht, denn ein junges (verdammt gut aussehendes) Mädchen nähert sich meinem Platz. Ich mustere sie und kann mich gar nicht daran erinnern, sie bei der Einweisung gesehen zu haben. Sie spricht mich auf Esperanto an. (Der Einfachheit halber übersetze ich das Gespräch, damit sich der mir geneigte Leser nicht damit beschäftigen muss und so von der Handlung abgelenkt wird.)

„Hallo, junger, hübscher Mann, wer bist du?“ (Das Wort „hübsch“ habe ich der Übersetzung hinzugefügt, damit diese mehr Sinn ergibt – und nicht etwa, weil ich es mir so gewünscht hätte.)  

„Ein Erntehelfer. Und wer bist du?“

„Ich bin eine Erntehelferin. Und wer bist du?“

„Ein Erntehelfer. Und wer bist du?“

„Ich bin eine Erntehelferin. Und wer bist du?“

„Ein Erntehelfer. Und wer bist du?“

„Ich bin eine Erntehelferin. Und wer bist du?“

Das Gespräch geht noch eine Weile so weiter dann wechseln wir das Thema.

„Was machst du hier?“

„Ich ernte Äpfel. Und was machst du hier?“

Jeder kann sich nun denken, wie das Gespräch weiter geht. 

Da ertönt das Signal. Ich danke ihr für das unterhaltsame Gespräch und ernte dann weiter Äpfel. 

Am Abend erfolgt die Abrechnung, jeder bekommt seinen Lohn für seine Arbeit. Ich fahre nach Hause und nach einem kleinen Abendessen falle ich todmüde und erschöpft in mein Bett, wo ich auch sofort einschlafe. 

Am nächsten Morgen fahre ich wieder zur Apfelplantage, ich halte Ausschau nach der jungen Frau von gestern, aber ich sehe sie nicht. Die „Apfelhexe“ teilt mir heute eine andere Reihe zu, diese liegt am äußersten Ende der Plantage. Ich beginne mit dem Pflücken und merke gar nicht, wie die Zeit verrinnt. 

Als das Signal zur Mittagspause ertönt, bin ich gerade am Ende meiner Reihe und damit auch am Ende der Plantage. Ich suche mir ein schattiges Plätzchen für mein Mittagessen und entdecke ein paar Meter weiter einen riesigen alten knorrigen Apfelbaum. Dort will ich die Mittagspause zu verbringen. Ich setze mich unter dem Baum und packe meine Brote aus – und wie aus dem Nichts steht da wieder dieses hübsche junge Mädchen. Sie setzt sich zu mir und nimmt sich eines meiner Brote (ohne zu fragen, was soll ich sagen, aber bei hübschen jungen Mädchen fehlen mir immer die Worte) und wir essen dann gemeinsam. Auf einmal zeigt sie hoch in den Baum, dort hängt ein einziger knallroter Apfel. 

„Bitte pflück ihn mir!“ sagt sie.

Ich raffe mich auf und besteige den Baum, um den Apfel zu pflücken. Als ich wieder unten bin, reiche ich ihr den Apfel. Sie zerbricht ihn ohne viel Mühe in zwei Hälften. Die eine reicht sie mir und die andere führt sie zu ihrem Mund. Ich nehme meine und beiße herzhaft hinein. Beim Kauen fällt mir auf, dass sie nicht abgebissen hat und ich überlege noch, warum – als mir auf einmal schwarz vor Augen wird und ich zusammenbreche. 

Kapitel 2 – Ein Shop für Hexen

Als ich aufwache, stelle ich fest, dass ich nackt bin. Ich denke noch: Dieses Frauenzimmer konnte es wohl nicht abwarten. Aber halt, wo bin ich eigentlich? Ich schaue mich um. Mein Käfig – wie ich es nennen möchte – besteht völlig aus Stein, sogar die Gitterstäbe an der Vorderseite bestehen aus Stein. Der Stein ist warm, deshalb friere ich auch nicht. In der einen Ecke steht sowas wie ein steinernes WC und ich denke sofort: Hoffentlich ist das Klopapier nicht auch aus Stein. Aber ich habe Glück – es gibt überhaupt keins. In der anderen Ecke steht ein steinerner Tisch, darauf ein Teller aus Stein. Da ich Hunger habe, schaue ich nach, was es dort gibt – es ist Apfelmus. Da es kein Besteck gibt, löffle ich mit den Händen das Apfelmus in meinen Mund. Es schmeckt sogar recht lecker.

Nun schaue ich mich weiter um, ich will sehen, was draußen ist. Dann läuft mir ein eiskalter Schauer über den Rücken. Ich bin nicht der einzige! Auf vielen weiteren Säulen aus Stein stehen steinerne Käfige mit nackten Männern drin. Am Fuße der Säulen sind unzählige kleine Feuer. Die Gedanken überschlagen sich, bin ich tot und in der Hölle gelandet? Ich bin doch aber immer lieb gewesen… Nein, das darf nicht die Hölle sein!

Ich kneife mich: Aua, das tat weh! Und wenn ich so einen Hunger hatte, dann kann ich auch nicht tot sein. Nun versuche ich, durch Schreien und Winken mit den anderen in meiner Nähe Kontakt aufzunehmen. Scheinbar können sie mich nicht hören, aber durch eindeutige Zeichen geben sie mir zu verstehen, ich solle leise sein. Also verstumme ich und versuche, mich mit Zeichen zu verständigen. Aber es kommt keine vernünftige Kommunikation zustande.

Dann wird es auf einmal laut und auf mehreren Besen kommt ein Schar Hexen – ja, wirklich: Hexen, richtige Hexen – auf meinen Käfig zugeflogen. Ganz vorne auf dem ersten Besen sitz das junge hübsche Mädchen von der Apfelplantage. Sie lacht mich an, dann redet sie in einer Sprache, die ich nicht verstehe, mit den anderen. Langsam wird mir klar, was hier abgeht: Das ist eine Verkaufsveranstaltung, und ich bin die Ware! Bald hat sich die junge Hexe mit einer anderen geeinigt. Dann fliegt sie noch näher an den Käfig und verwandelt sich dabei in meine „Apfelhexe“. Sie lacht und sagt „Ich wusste es gleich, für dich bekomme ich einen guten Preis!“ Dann fliegen alle wieder weg und ich bleibe mit meinen Gedanken allein.

Aber nicht lange, dann merke ich, wie sich meine Steinsäule absenkt und sich dem Boden nähert. Als nächstes wird etwas in meinen Käfig geblasen, ich denke noch „Was soll das?“, aber dann weiß ich es: man hat mich wieder betäubt.

Kapitel 3 – Bei meiner Hexe

Nach einiger Zeit wache ich wieder auf und liege in einem richtigen Bett, – ah, es war alles nur ein Traum – denke ich, als mir bewusst wird, das ist der gar nicht mein Bett – und wer liegt da neben mir? Oh nein, es ist die Hexe, mit der sich meine „Apfelhexe“ geeinigt hatte. Sie merkt, dass ich wach bin und richtet sich auf.

Sie ist wunderschön, denke ich noch, als sie sagt: „So, ich habe viel Geld für dich bezahlt. Du bist jetzt mein neuer Sklave und musst alles tun, was ich dir sage, bei Tage und bei Nacht. Als erstes musst du das Haus sauber und instand halten, Essen kochen und dich um den Kräutergarten kümmern. Du darfst dich aber nie mehr als hundert Schritte vom Haus entfernen, sonst wirst du zu einem Baum. Und du darfst nie mein Hexenlabor betreten, sonst wirst du in ein Häschen verwandelt und dann gibt es Hasenbraten zum Abendessen für mich. Also fang an, ich will frühstücken! Drei Toast! Je ein Toast mit Ei, Marmelade und Honig, dazu einen Kaffee und frischgepressten Orangensaft. Los, los! Und mach dir auch was zu essen, ich möchte nicht alleine frühstücken.“ 

Die Küche ist gut ausgestattet und alles ist übersichtlich angeordnet, aber das Beste ist, wenn ich eine Orange zum Ausdrücken wegnehme, ist gleich wieder eine neue da. Das Gleiche geschieht bei allen Speisen: Ein Marmeladenglas, was nie leer wird, ein Krug voller Honig, der immer voll ist. Das ist ja eine super Küche, ich bin regelrecht begeistert! Selbst die Kräuter im Kräutergarten wachsen immer gleich wieder nach. Und auch das Haus ist unbeschreiblich, es besteht wirklich – was soll ich sagen – ihr werdet es nicht glauben, aus Pfefferkuchen! Einmal habe ich davon gegessen und zu meiner Enttäuschung hat es sich nicht erneuert. Dann musste ich im großen Backofen einen neuen Pfefferkuchen backen und die Hexe hat mir noch den Hintern versohlt… Ich muss das Haus instand halten und darf es nicht aufessen, hat sie dabei gesagt. Deshalb habe ich auch nie wieder vom Haus genascht.

Ach, das Leben bei der Hexe ist gut und sie achtet immer darauf, dass sie wunderschön aussieht. Ich habe in all der Zeit nur selten ihr wahres Gesicht gesehen, dieses ist allerdings absolut gruselig und hässlich.

Eines Tages sagt sie zu mir: „Mach das Feuer im Backofen an, hole Wein aus dem Keller und dann bleibst du im Keller, bis ich dich wieder rauslasse, denn ich bekomme Besuch.“ Ich hole Feuerholz und heize den Backofen an, gehe in den Keller hole eine Flasche von ihrem Lieblingswein und dann schließt sie mich im Keller ein. Das ist nicht so schlimm, hier ist sogar eine Liege, jede Menge Wein, der nie alle wird, und Schinken, der immer nachwächst. Dann kommt der Besuch; ich höre oben fröhliche Kinderstimmen. Ich habe aber schon eine Menge Wein getrunken und denke nicht weiter darüber nach. Als ich müde werde, lege ich mich hin und schlafe. 

Am nächsten Tag höre ich immer noch die Kinderstimmen, also wird der Besuch wohl noch länger bleiben. Ich verbringe den Tag mit Schinken essen, Wein trinken und Schlafen. Es vergeht noch ein weiterer Tag, bis endlich die Kellertür geöffnet wird. 

Meine „Lieblingshexe“, wie ich sie heimlich für mich nenne, befiehlt mir, alles aufzuräumen und das Haus zu säubern. Ich mache mich gleich an die Arbeit, hier muss ja ein richtiges Festmahl stattgefunden haben. Aber, na ja, im Keller war es auch schön.

Am Abend darf ich wieder zu ihr ins Bett und sie sieht sehr glücklich aus.

Zwei Tage später ist sehr viel Lärm im Wald, ich trete vor die Tür und möchte gerne die Ursache wissen. Meine Lieblingshexe kommt dazu und lächelt nur. Es sieht so aus, als ob viele hundert Mann in Polizeiuniform den Wald durchkämmen, als ob sie nach vermissten Personen suchen. Sie haben auch Hunde dabei. Ich denke noch, das ist meine Gelegenheit hier zu verschwinden, aber will ich das überhaupt? Hier geht es mir doch gut. Aber der Drang nach Freiheit ist größer und ich winke den Polizisten zu. Meine Hexe schaut mich böse an. „Was machst du da? Sie können dich weder sehen noch hören.“

„Was?“ frage ich.

„Wir sind in einer anderen Dimension, sie werden dich nicht retten.“ 

In dem Moment erreichen die ersten das Pfefferkuchenhaus und laufen direkt durch das Haus, ohne es auch nur zu bemerken, und dann auch noch durch uns hindurch. Bald sind die Polizisten wieder verschwunden. Nur ein Satz, den der eine Polizist sagte, geht mir nicht mehr aus dem Kopf: „Ich hoffe, wir werden die beiden Kinder bald finden, aber ich habe kaum Hoffnung, denn in diesem Wald sind schon viele Kinder verschwunden.“

Für den Fluchtversuch erfolgt die Strafe sofort. Die Hexe versohlt mir wieder den Hintern, bis ich nicht mehr sitzen kann, und sperrt mich eine Woche in den Keller ein. Aber das ist mir alles egal, denn mir ist klar geworden, was mit den Kindern geschehen ist.

Ich denke nur noch an Flucht, aber ich traue mich auch nicht, mich mehr als hundert Schritte vom Haus zu entfernen. Denn da stehen schon viele Bäume und alle haben Gesichter…

Es fällt mir schwer, meine Pflichten zu erfüllen, besonders die in der Nacht. Immer wieder höre ich in meinem Kopf die Kinderstimmen. Die Hexe merkt das natürlich und nach ein paar Tagen braut sie einen Trank für mich, den ich trinken muss. Boa, ist der widerlich! Mir wird ganz schwindelig und ich klappe zusammen. Als ich aufwache, kann ich mich an nichts mehr erinnern, außer dass ich der Sklave dieser wunderschönen Hexe bin und ich sie über alles liebe. Aber auch von meinem Leben, bevor ich ihr Sklave wurde, und von der Apfelernte weiß ich nichts mehr.

Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute in der Hexendimension, die nur ab und zu Kinder betreten können, aber wenn das passiert, bekomme ich immer einen Schlaftrunk, so dass ich erst einige Tage später wieder aufwache.

Kapitel 4 – Ein alternatives Ende für die Hexe

Wem das Ende gefallen hat, sollte jetzt nicht weiterlesen. Ja, ich dachte, das Ende nach dem Motto „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ ist so in Ordnung. Aber mein hoch geschätzter und allseits verehrter Lektor hat mir mittels ein paar Kopfnüssen klargemacht, hier muss ein Happy End her – und das geht nur mit dem Tod der Hexe. Ich dachte mir, was ist das für ein Happy End, wo ich eine wunderschöne Hexe meucheln muss… Aber nun gut, ich mache es.

Aber was jetzt kommt, ist nichts für schwache Nerven! Kinder, Jugendliche und ältere Menschen mit Herzklappenfehler sollten spätesten jetzt mit dem Lesen aufhören, denn nun folgt das blutige und grauenvolle Ende einer Hexe. Ich fühle mich schon wie ein Inquisitor.

Das Ende der Hexe

Ich sitze im Keller und überlege, was ich tun soll. Ich muss die Hexe töten, denn sie darf nie wieder Kinder fressen. Mir fällt da ein Märchen ein, wo die Hexe in den Backofen gestoßen wird. Ich komme aber nicht auf den Namen, irgendetwas mit „Hänsel die Greta“ oder so ähnlich. Aber da die Hexe bestimmt auch alle Märchen kennt, wird diese Variante nicht funktionieren, denke ich bei mir. 

Da wird die Kellertür geöffnet und die Hexe ruft mich hoch. Sie erzählt mir, dass sie zum alljährlichen Hexenkongress fliegt und dass sie mich aber nicht mitnimmt, da ich ungehorsam war. Ich solle das Haus in Ordnung halten und mir darüber Gedanken machen, wie ich meinen schändlichen Verrat an ihr wieder gut machen will. Ich denke nur: zum Glück kann sie keine Gedanken lesen.

Am nächsten Morgen fliegt die Hexe auf ihrem Besen zum Hexenkongress.

Jetzt gehört das Haus mir ganz allein, und wenn es eine Möglichkeit gibt die Hexe zu töten, kann ich sie nur im Hexenlabor finden. Das ich aber nicht betreten darf, ohne dass ich in ein Häschen verwandelt werde. Aber stimmt das auch? Vielleicht hat die Hexe ja gelogen! Ich gehe zum Hexenlabor; die Tür ist nicht verschlossen, ich öffne sie langsam und spähe hinein. Alles ist sehr ordentlich, jeder Behälter steht an seinem Platz und ist beschriftet. In der Mitte steht das Schreibpult, auf dem liegt ihr Zauberbuch und daneben auf einem Ständer liegt ihre Zauberkugel. Ja, wenn ich an das Buch und an die Kugel komme, würde ich bestimmt einen passenden Zauberspruch finden, der die Hexe töten kann.

Das Hexen-Labor

Ich traue mich aber nicht, ins Labor zu gehen. Da kommt mir eine Idee. Ich nehme meinen Besen, und mit einigen anderen Stangen, die ich finde, baue ich mir eine Verlängerung. Dann benutze ich diesen langen Besen, um ihn an den Füßen vom Pult einzuhaken und ziehe das Pult langsam in Richtung Tür. Es klappt nicht gleich beim ersten Mal und ich rutsche häufig wieder ab. Aber das Pult nähert sich langsam der Tür. An einer losen Diele bleibt das Pult dann hängen, ich ziehe etwas kräftiger – und da geschieht es: Das Pult kippt. Das Buch und die Glaskugel fallen wie in Zeitlupe runter. Wenn die Kugel zerbricht, ist alles vorbei, denke ich und reflexartig springe ich in den Raum, um die Kugel zu fangen. 

Ein schwerer Fehler! Im selben Moment verwandele mich in ein Häschen und die Kugel zerbirst in tausend Stücke. Nein, nicht Stücke, sondern in tausend kleine Kugeln. Ich bin darüber verwirrt. Aber es ist egal; wenn die Hexe kommt, gibt es zum Abendessen Hasenbraten. Ich muss mir also ein Versteck suchen. Unter einem der Regale ist genügend Platz für mich. Jetzt kann ich nur noch warten. 

Zwei Tage später kommt die Hexe zurück. Als sie das Chaos sieht, wird sie wütend und ruft nach mir. Sie ist außer sich vor Zorn. Dabei achtet sie nicht darauf, wo sie hintritt und rutscht auf ein paar Kugeln aus und stürzt. Beim Fallen schlägt Sie mit dem Kopf auf das Pult und bleibt ohnmächtig liegen. Ich habe alles aus meinem Versteck beobachtet und komme nun langsam hervor. Was kann ich jetzt aber noch tun, überlege ich. Sie wird bald wieder zu Bewusstsein kommen und mich dann schlachten.

Es gibt nur eins: Sie oder ich. Also da hoppel ich süßes Häschen zur Hexe und grabe meine nadelspitzen Nagezähnchen in ihre Halsschlagader. Das Blut spritzt stoßweise aus ihrem Hals und mein schönes glänzendes Fell wird ganz blutig. Nach und nach weicht das Leben aus dem Körper der Hexe. In der Sekunde, in der die Hexe stirbt, werde ich in einen Strudel gezogen, der sich plötzlich unter mir auftut. Der Strudel schleudert mich geradewegs unter den großen alten Apfelbaum. Ich bin wieder da, wo alles begann! Während der Reise im Strudel habe ich auch meine menschliche Gestalt wiederbekommen. Nur leider meine Kleidung nicht, was nun überaus peinlich ist…